Klimawahl? Schicksalswahl!
In einem Jahr ist Bundestagswahl. Diese Wahl ist die letzte Wahl, die wir auf dieser Ebene haben, um die schlimmsten Auswirkungen der Klimakrise zu verhindern. Wir müssen die Wahl zur Klimawahl machen.
Ich habe in diesem Jahr bereits eine Klimawahl hinter mir und möchte von meinen Erfahrungen berichten, wie wir mit „München muss handeln“, einem gewaltigen Bündnis von zuletzt rund 500 Unternehmen und Organisationen, im Juni 2019 angetreten sind, um die Kommunalwahl in München im März 2020 zur Klimawahl auszurufen und die schwarz-rote Koalition im Rathaus abzulösen. Es gibt unterschiedliche Blickwinkel darauf, wie “München muss handeln” entstanden ist. Ich erzähle etwas über meine Motivation.
Ich war auf Demos. Auf vielen Demos. Auf großen Demos. 2015 haben wir mit 250.000 Leuten in Berlin gegen TTIP und die Freihandelsabkommen neueren Zuschnitts diskutiert. Das sind Umwelt- und Demokratiezerstörungsabkommen. Gebracht hat es nichts. Wir haben hier in München eine Riesendemo gegen die Einschränkung von Rechtsstaat und Grundrechten gehabt. Und unmittelbar darauf wurde trotzdem das Polizeiaufgabengesetz geändert.
Ich habe Petitionen unterzeichnet. Viele Petitionen. Haben sie eine grundlegende Veränderung herbeigeführt? Nein. Hat es die Politik überhaupt interessiert? Meist keinen Pfifferling.
Ich dachte immer, man müsse auf den großen Ebenen die großen Hebel bewegen. Das muss man auch. Aber es ist sehr schwer. Dabei bin ich ein Freund davon, erstmal das zu machen, was leicht möglich ist und schnell wirkt.
Also habe ich mich darauf konzentriert, was in Stadt und Land möglich ist. Denn hier haben wir etwas, was wir auf den höheren Ebenen (noch) nicht haben. Wir haben die Mittel der direkten Demokratie mit Bürger- und Volksbegehren. Wir hatten im vergangenen Jahr ein großartiges Volksbegehren, „Rettet die Bienen“, das unglaublich viel in Bewegung gesetzt hat.
Vor ein paar Jahren habe ich dann die Gründung eines Ernährungsrats in München angestoßen, nachdem es auf kommunaler Ebene mit „Sauba Sog I“ Bürgerbegehren für saubere Luft durch eine Mobilitätswende und für eine Energiewende mit „Raus aus der Steinkohle“ gegeben hatte.
Der Ernährungsbereich sollte auch seinen Beitrag leisten. Das Thema Ernährung spielte in der Stadtpolitik kaum eine Rolle. Wir wollten daher auch Bürgerbegehren machen, um eine Ernährungswende anzustoßen. Wir hatten unsere Auftaktveranstaltung im März 2019. Danach war ich in verschiedenen Stadtratsfraktionen.
Wir wollten nicht mehr und nicht weniger als gutes Essen für alle. Wenn es in allen Kantinen, Altenheimen, Schulen, Kindergärten, überall dort, wo die Stadt zuständig ist, Essen aus regionalem, saisonalem Bio-Anbau gäbe, hätten alle Zugang zu gutem Essen, auch wenn sie es zuhause nicht haben, weil es sich dort niemand leisten kann oder einfach die Bildung oder Motivation fehlt. Es wäre unglaublich gerecht und wir dachten, das wäre doch auch etwas, was die Stadt machen müsste, nach einem derart erfolgreichen Volksbegehren für den Erhalt der Schöpfung. Zumal eine Ernährungswende für einen Bruchteil der Kosten zu haben ist, die die Mobilitäts- und Energiewende verursachen, und sie in einem Nebeneffekt auch noch die regionale Wirtschaft stärkt. Abgesehen davon, dass der Ernährungsbereich wohl die größten Auswirkungen auf gleich mehrere planetare Grenzen hat.
Aber beim Termin in der CSU-Stadtratsfraktion sagte man uns, als wir den Erhalt der Schöpfung (C) und den Zugang zu gutem Essen für alle (S) gefordert hatten, das solle der Markt regeln oder wir sollten doch ein Bürgerbegehren machen. Von Gestaltungswille keine Spur. Im Gegenteil: Wir sollten uns einreihen in all die Bürgerbegehren, die nicht umgesetzt wurden.
An dem Punkt wurde mir klar: Wenn die Kommunalwahlen schlecht laufen, haben wir nach der Wahl das gleiche Szenario wie davor. Wir müssen als eigentlicher Souverän mit einem irren Aufwand Lobbyarbeit betreiben, Petitionen schreiben, demonstrieren gehen und Bürgerbegehren machen, obwohl wir jetzt schon alle auf dem Zahnfleisch daherkommen und wissen, dass uns das nicht helfen wird, wenn es die, die handeln könnten, trotzdem verschleppen.
Zu dem Zeitpunkt sind Fridays for Future bereits seit Monaten auf die Straße gegangen und haben gefordert, dass die, die an den Schalthebeln sitzen, endlich handeln. Und das ist genau das, worum es geht. Wir bräuchten nicht einmal Bürgerbegehren, wenn wir einen intrinsisch motivierten Stadtrat hätten. Wir brauchen Regierungen, die es einfach machen und es uns damit einfach machen. Ich dachte mir damals: Wir haben zweifellos die ganze Zeit über viel Gutes gemacht in unseren Organisationen, aber wie wäre es, wenn alle sich und ihre Organisationen einmal zurücknähmen und für ein paar Monate an einem Strang zögen, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen, womit jeder sogar weniger Arbeit hätte?
Das war der Startschuss zu einem sektorübergreifenden Bündnis, das wir mit ein paar gut vernetzten Akteur:innen in der Stadt besprochen haben. Wir haben uns hinter die Fridays for Future München gestellt, um der Politik zu signalisieren, dass weit mehr Menschen die Forderungen teilen und dass die Zivilgesellschaft schon weiter ist. Wir taten dies auch, weil wir alle den Kampf gegen die verfestigten Strukturen schon lange führen und fürchteten, dass der mediale Höhepunkt der for-Future-Bewegung bald erreicht sein könnte. Es galt, den Fokus auf das Thema noch weit größer zu machen und die Politiker:innen direkt zu adressieren. Das gilt erst recht jetzt. Denn es ist ein Skandal ungekannten Ausmaßes, dass wir junge Menschen in Depressionen und Burn out stürzen, weil wir Älteren nicht genug tun und die Jungen nicht einmal wählen können. Wir müssen hinter ihnen stehen, gerade jetzt, wo die mediale Karawane weitergezogen ist.
Wir haben uns damals hinter die 32 an die Kommunalpolitik gerichteten Forderungen von Fridays for Future München gestellt, die diese mit der örtlichen Gruppe der Scientists for Future entwickelt hatten und wir haben ein gewaltiges Feuerwerk abgefackelt. Mit ganzseitigen Zeitungsanzeigen in mehreren Tageszeitungen haben wir nach außen unsere Unterstützung bekundet und weitere Bündnispartner:innen geworben. Wir haben dazu beigetragen, dass zum globalen Klimastreik am 20.9. die Stadt tatsächlich ein Stück weit lahmgelegt wurde, weil einige Läden in der Zeit schlossen, um mit ihren Mitarbeiter:innen auf die Demo zu gehen. Das haben wir mit einer gut gefüllten Streikkarte sichtbar gemacht.
Weil die Politik nicht gehandelt hatte, wie es der Situation angemessen gewesen wäre, haben wir einen eigenen Klimakrisenstab eingerichtet, der öffentlichkeitswirksam auf dem Tollwood gearbeitet hat.
Wir haben von dort aus Aktionen geplant, Menschen für die Kommunalwahl begeistert, Erstwählerkampagnen geplant und eine Enkelkampagne, um Großeltern zu motivieren, ihre Stimme für ihre nicht wahlberechtigten Enkel:innen abzugeben. Wir haben den Aufruf zur Klimawahl und zur Beteiligung am Bündnis in 17 Sprachen übersetzt und verbreitet, um alle in der Stadt zu erreichen. Wir hatten eine große Veranstaltung mit den Bürgermeister-Kandidat:innen.
Schließlich haben wir mit unserem (Klima)Wahlhelfer nicht nur die Positionen der Parteien zu den 32 Forderungen sichtbar gemacht, sondern auch die Positionierung der Kandidierenden, um innerhalb der Parteien etwas in Bewegung zu setzen. Und diesen (Klima)wahlhelfer haben wir mit unseren Bündnispartner:innen dann bespielt. Wir sind hier im Team bis an die Grenzen unserer Kräfte gegangen und am Ende stand das Ergebnis, dass der Stadtrat nicht mehr schwarz-rot war, sondern grün-rot. Ein unglaublicher Erfolg, obwohl ich nicht beurteilen kann, wie groß unser Beitrag dazu war. Was ich aber beurteilen kann:
Das alles reicht nicht!
Es reicht erst recht nicht aus, wenn wir das auf die Bundestagswahl im kommenden Jahr übertragen wollen. Da müssen wir uns noch ganz andere Fragen stellen. Wie kommen wir gegen diese Politik an? Das wird sehr, sehr schwer. Aktuell scheinen, sofern das wegen Corona überhaupt gemacht wird, im Aktivist:innenkreis die meisten Versuche in zwei Strömungen zu münden: Demonstrationen und ziviler Ungehorsam. Ich denke, dass beides nicht reicht, auch wenn beides nötig erscheint.
Wir werden es sehen. Nun findet ja gleich beides parallel statt: eine große Demonstration von Fridays for Future und die Aktion von Ende Gelände im Rheinischen Kohlerevier. Unmittelbar darauf schließt sich ab dem 5.10. die Rebellion Wave von Extinction Rebellion in Berlin an.
Warum ich skeptisch bin, dass das reichen wird? Ich hatte vor einem Jahr darin eine große Chance gesehen. Ich fand es unglaublich, wie viele Menschen Fridays for Future auf die Straßen gebracht hat, wie es ihnen gelungen ist, eine mediale Aufmerksamkeit für das Thema zu schaffen, wie es vorher noch niemandem gelungen war. Aber es wurden auch Chancen verpasst.
Ebenso konnten die Aktionen von Ende Gelände in den vergangenen Jahren an Zustimmung aus der Bevölkerung gewinnen, was eigentlich schon zeigt, wie sich das Verhältnis in der Einstellung der Menschen gegenüber Politik und Aktionen des zivilen Ungehorsams gewandelt hat. Es waren tolle, öffentlichkeitswirksame Aktionen. Aber sie blieben punktuell wie auch die vollkommen notwendigen und in ihrer Ausdauer bewundernswerten Aktionen im Hambacher Wald.
Parallel machte sich im vergangenen Jahr eine Bewegung breit, die viele elektrisierte. Der Ansatz von Extinction Rebellion war vielversprechend. Die Rebellion Wave in Berlin hätte etwas in Bewegung setzen können. Aber wie so oft wurde sie, noch bevor die Aktion durchstarten konnte, ausgerechnet von der vermeintlich progressiven links-grünen Seite sturmreif geschossen.
Ich bin ganz zuversichtlich, dass wir noch viel mehr Formen zivilen Ungehorsams sehen werden, so wie die Bundesregierung und die GroKo die Gesellschaft radikalisieren. Aber ich bin nicht zuversichtlich, ob das reichen wird. Zumal die Kosten der Repression durch die Möglichkeiten der Massenüberwachung drastisch fallen und sich die Frage nach der Nachhaltigkeit stellt. Es müsste einmal gelingen, sich nicht spalten zu lassen. Diese Tendenzen gibt es leider überall. Es muss aber doch möglich sein, im Namen eines eigentlich gemeinsamen Ziels für einen begrenzten Zeitraum zusammenzuarbeiten, Kritik intern zu behandeln und Egos beiseite zu lassen.
Bisher habe ich mich daher nur im Zwiegespräch geäußert, wenn ich mir gedacht habe, dass etwas anders laufen müsste. Ich halte es für ungünstig, so etwas in der Öffentlichkeit auszutragen. Trotzdem muss ich angesichts dessen, worauf wir zusteuern, einmal damit nach außen und vielleicht auch dem ein oder anderen vor den Kopf stoßen. Ich habe es in den vergangen Jahren geübt, mich unbeliebt zu machen, und das in der Praxis hinreichend erprobt. Ich bin ein Freund davon, alles schonungslos zu analysieren und, wenn etwas nicht funktioniert, es entsprechend abzustellen.
Die Missachtung des Willens des eigentlichen Souveräns, die ich aufgezeigt habe, haben wir nicht nur vor Ort, wir haben sie auch auf den höheren Ebenen. Die meisten Menschen wollen eigentlich nicht so gerne, dass ihre Lebensgrundlagen zerstört werden. Wir machen aber trotzdem so weiter wie bisher.
Dabei ist für mich mittlerweile vollkommen klar, dass es vollkommen sinnlos ist, zu lobbyieren und alle uns zustehenden demokratischen Mittel auszuschöpfen, solange in den Parlamenten Abgeordnete sitzen, denen der Wille des Souveräns im besten Falle egal ist. Im schlimmsten Fall arbeiten sie sogar gegen das Gemeinwohl zu Gunsten weniger.
Das ist auch der Grund, warum insbesondere Lobbyarbeit nichts gebracht hat. Auch nicht die Lobbyarbeit der großen Umwelt- und Kampagnenorganisationen. Also klar, sie hat was gebracht, aber nüchtern betrachtet vielleicht einen Aufschub der schlimmsten Auswirkungen um ein paar Monate oder Jahre. Stoppen konnten sie ihn nicht. Das konnte keine Demo, keine Lobbyarbeit und keine Rechtsetzung durch den Souverän.
Diese Erkenntnis führte letztendlich dazu, dass diese ganzen Dinge, die wir zweifelsohne machen müssen, nur dann etwas bringen, wenn wir in den Parlamenten Abgeordnete haben, die nicht gegen uns arbeiten, sondern dem Gemeinwohl gewogen gegenüber stehen und intrinsisch motiviert sind, die Lebensgrundlagen zu erhalten. Selbst dann gibt es noch Interessen, die unter einen Hut zu bringen sind. Und natürlich braucht es auch eine Erweiterung der demokratischen Einwirkungsmöglichkeiten des Souveräns und nicht eine Entmachtung der Parlamente, wie wir sie seit einiger Zeit erleben.
Der Handlungsdruck wird besonders gravierend, da aufgrund der Untätigkeit der bisherigen politischen Besetzung die Hürde der gleichzeitig und mit drastischen Maßnahmen anzupackenden Probleme weit höher ist als noch vor Jahren. Hinzu kommt, dass diese Maßnahmen nun nach Jahren sprudelnder Steuereinnahmen in einer heraufziehenden Wirtschaftskrise bei wegbrechenden Steuereinnahmen bewerkstelligt werden müssen. Die Chance wurde verpasst, das verträglich zu gestalten. Es wird aber etwas passieren müssen und es ist zu befürchten, dass dies genau so unkoordiniert wie in der Coronakrise erfolgen wird, je spürbarer die Auswirkungen der Klimakrise werden. Diese Szenarien werden Demokratie und Gesellschaft auf eine harte Probe stellen, die zu lösen wäre, wenn endlich auch die schreiende Ungerechtigkeit angegangen und eine Umverteilung des vorhandenen Reichtums angepackt würde. Aber auch dazu fehlt ganz offensichtlich bei den derzeitig herrschenden Politiker:innen der notwendige Wille. Wie könnte das geändert werden?
Ein großes Problem ist: Wir arbeiten alle über unsere Kräfte, auch weil wir uns in immer neuen, uns aufgezwungenen Kämpfen aufreiben und verzetteln. Wir haben es mit mächtigen Gegnern zu tun. Eine gewaltige Klimaschmutzlobby mit exzellenten Beziehungen, hoch vernetzt und vor allem mit unvorstellbaren finanziellen und zeitlichen Ressourcen, die uns allen fehlen. Und was uns fehlt, ist der kleinste gemeinsame Nenner, der alle an einem Strang ziehen lässt. Die anderen schaffen das recht gut mit einem nicht gerade gemeinwohlorientierten Nenner: Profitmaximierung.
Wie sieht es bei der Zivilgesellschaft aus? Da ist schon erstmal klar, dass sich nur ein sehr geringer Anteil aktiv für Klimaschutz, Artenschutz etc. einsetzt. Viele Menschen haben andere Probleme, seien es hohe Mieten, mehrere Jobs nebst Familie etc. Wir wissen noch nicht, was uns die heraufziehende Wirtschaftskrise in der Hinsicht bringen wird. Hinzu kommt: Der Klimawandel ist für uns noch nicht richtig spürbar und als systemisches Risiko nicht intuitiv zu erfassen. Unser Hirn funktioniert nun mal nicht so und es ist sehr wahrscheinlich, dass alles, was wir uns ausmalen, bereits viel weiter fortgeschritten und viel dramatischer ist. Das ist ein großes Manko und deshalb sind die, die das im Wesentlichen verstanden haben, trotzdem noch eine vergleichsweise kleine Gruppe. Oder vielmehr: zahllose kleine Gruppen mit eigener Organisation, eigenem Verwaltungsballast für das eigentlich gleiche Ziel. Einen Großteil unserer Kräfte verballern wir sinnlos.
Und es ist gerade diese Atomisierung, die es schwer macht, gemeinsam auf ein doch eigentlich allen gleiches Ziel hinzuarbeiten. Hinzu kommen die Egos und Eigeninteressen der einzelnen Akteur:innen und Organisationen.
Wir haben aus diesen Erfahrungen versucht, andere Wege zu beschreiten. Der Ansatz in München, mit einem gewaltigen Bündnis den Stadtrat auszutauschen, ist in der Hinsicht für mich beispielhaft. Es waren in unserem Bündnis nicht nur Umweltschutzorganisationen und sämtliche for-future-Gruppen. Es waren auch Unternehmen und Organisationen dabei, die sich zuvor noch nie so eindeutig politisch positioniert haben, wie der Deutsche Alpenverein, große und kleine Unternehmen und Unternehmer:innen von der Architektin über den Steuerberater bis zur Buchhandlung ums Eck. Die Idee für ein solch dauerhaftes politisches Aktionsbündnisses wuchs bei mir mit einem Zitat von Rob Hobkins:
“If we wait for the governments, it’ll be too little, too late; if we act as individuals, it’ll be too little; but if we act as communities, it might just be enough, just in time.”
Im ersten Treffen der Bündnispartner:innen haben wir ganz klar vereinbart, dass wir nun einen Teil der Arbeit, die wir in unseren eigenen Organisationen leisten, im Bündnis einbringen und mit den eigenen Organisationen nach hinten treten für den gemeinsamen Zweck. Wenn alle an einem Strang zögen über einen gewissen Zeitraum, würde das nicht bedeuten, dass wir wieder mehr machen müssen, wieder Strukturen schaffen, wieder in einem weiteren Bündnis sind. Nein, wenn alle einen Teil für ein gemeinsames Ziel einbrächten, würden alle weniger machen. Das Leitmotiv nach dem Treffen lautete: „Tschüss Ego“.
Aus meiner Sicht ist das größte gemeinsame Ziel, das wir haben sollten, die Bundestagswahl im kommenden Jahr. Es ist eine Schicksalswahl nicht nur für unsere Lebensgrundlagen, sondern auch, wenn man sich die aktuellen Entwicklungen ansieht, für die brutal auseinanderdriftende Gesellschaft und Demokratie. Wir müssen den Bundestag mit Politiker:innen besetzen, die uns die Bürde nehmen. Die selbst tun, was nötig ist, so dass wir nur punktuell bei Fehlentwicklungen eingreifen müssen. Wir sind so kaputt, weil wir so viele, unzählige Kämpfe führen müssen. Eine andere Regierung, eine andere Besetzung des Parlaments ist daher in erster Linie schon mal als Kräfteschonung zu sehen — eine Art psychische Resilienz. Es ist ja kein Naturgesetz, dass wir uns das gefallen lassen, aber im Moment ist es ein fast so aussichtsloser Kampf wie gegen Naturgewalten.
Deshalb begrüße ich es, wenn sich Aktivist:innen in die Politik begeben. Aber das reicht nicht. Sie müssen auch gewählt werden. Und wenn ich mir ansehe, welches Ergebnis wir in München erzielt haben mit welchem Aufwand, heißt das nun wirklich: kompromisslose Kooperation der Zivilgesellschaft. Sonst sehe ich für die Schicksalswahl schwarz. Egal, ob schwarz-rot, schwarz-gelb oder schwarz-grün. Nichts davon rettet uns.
Wir können Politiker:innen auch per Direktwahl wählen, seien es progressive Kräfte etablierter Parteien oder von Klimalisten, die sich als neue Parteien gründen, weil sie die Faxen dicke haben, Kompromisse einzugehen, um über die Umsetzung des Pariser Abkommens, das ja bereits den Kompromiss darstellt, zu debattieren. Wir müssen das sichtbar machen. Keine langweiligen Wahlprüfsteine, sondern individualisierte, konkrete Rankings. Und wir müssen dafür sorgen, dass dementsprechend gewählt wird.
Unser Fokus ist ja schon gut. Keine Scham für einzelne Menschen, wie uns das in den vergangenen Jahrzehnten eingetrichtert wurde. Der Einzelne kann nicht nachhaltig leben. Deshalb müssen die Rahmenbedingungen geändert werden. Der Fokus auf die politischen Akteur:innen zum Erreichen einer sozial gerechten Ökoroutine ist daher vollkommen richtig. Nur damit könnte es uns vielleicht gelingen, die gewaltigen Herausforderungen zu meistern. Dazu müssen alle zusammenarbeiten: Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft. Wenn wir — wie aktuell bedingt durch die Große Koalition — gegeneinander arbeiten, werden wir alles verlieren.
Und selbst ein uns eher gewogener Bundestag würde noch nicht reichen. Dann muss der Druck und die hochvernetzte Expertise aus der Zivilgesellschaft kommen. Dann aber wirkt er. Lösungen gibt es. Es gibt beispielsweise GermanZero, einen ebenfalls vielversprechenden Ansatz. Selbst die Gesetze zu schreiben, damit haben wir in Bayern gute Erfahrungen gemacht mit dem Volksbegehren Artenvielfalt und einem tollen Bündnis.
Aber da muss noch mehr gehen. Ich träume immer davon, dass wir Bürger- und Volksbegehren aus eigener Kraft in kürzester Zeit durchbringen. Eine große Party, Musik spielt und alle unterschreiben die Listen. Das Quorum an einem einzigen Tag. Also etwas Ähnliches, was im Olympiastadion mit Petitionen geplant war, nur barrierefrei und mit richtigen Gesetzen. Und genau hierfür könnten Bündnisse dienen, wie sie sich beispielsweise unter „Alle müssen handeln“ nach dem Vorbild von “München muss handeln” formieren. Mit den Mitarbeiter:innen, Kund:innen, Mail-Empfänger:innen, Mitgliedern der Bündnispartner:innen lässt sich theoretisch eine sechsstellige Anzahl an Menschen erreichen. Etwas, das GermanZero derzeit noch nicht schafft. Es ließen sich auch die Ziele der Klimalisten und anderer Parteien überparteilich einem sehr breiten Publikum zugänglich machen, was einen Wettbewerb unter den Parteien in Gang setzt. Und die Politiker:innen, die dann gewählt werden, hätten einen breiten Rückhalt in der Bevölkerung, wenn es daran geht, auch unpopuläre Maßnahmen umzusetzen.
Ich weiß, dass es schwer ist, sich selbst einzugestehen, dass man mit den bisherigen Mitteln nicht das erreicht hat, was man hätte erreichen müssen. Aber das ist nun einmal Fakt und das müssen wir akzeptieren, sonst ist keine Änderung möglich. Und besonders schwer ist es zu akzeptieren, wenn man doch die ganze Zeit schon versucht hat, Gutes zu bewirken. Das reicht halt nicht, weil es alles zu groß ist. Das bedeutet aber nicht, dass diese gute Arbeit nicht weitergemacht werden muss. Das muss sie zwingend und zum großen Teil wird das dann vor Ort passieren müssen. Deshalb müssen noch viel mehr Menschen in die Kommunalpolitik und die Organisationen vor Ort, die sich um die Umsetzung der Zukunft kümmern. DAS wird uns überfordern, denn wir müssen die Gesellschaft heilen, Demokratie stärken und gleichzeitig eine Ernährungs-, Mobilitäts- und Energiewende umsetzen. Eines allein wäre schon eine Überforderung. Und parallel müssen wir ja auch noch dagegen ankämpfen, dass sich Reichtum weiter anhäuft und sich Machtstrukturen verfestigen, während andere Teile der Bevölkerung verarmen und an der demokratischen Entwicklung nicht mehr teilnehmen.
Aber je weniger wir jetzt zusammenarbeiten, desto mehr wird es uns überfordern. Und schlimmer noch: Desto weniger Aussicht werden wir haben, diese Ziele zu erreichen. Es ist noch nie gelungen, solche Bündnisse zu bilden, in denen die Kräfte für das Gute zusammengelegt werden, so dass es keinen Mangel an personellen und finanziellen Ressourcen sowie an Reichweite gibt.
Wir müssen uns auch unabhängiger von der Medienberichterstattung machen und konzertiert kommunizieren. Wir haben nicht den Zugang wie die großen Unternehmen mit ihren Werbebudgets und die großen Parteien mit ihrem Heer an gut ausgebildeten PR-Leuten. Wir brauchen sie daher alle, die Organisationen und — auch wenn es dagegen Widerstände gibt — die bereits jetzt transformativen Unternehmen. Sie lindern schon bestehendes Leid, schützen Natur und Biodoversität, die wir dringend brauchen, sie kämpfen für mehr Demokratie, erneuerbare Energien, gegen Gewalt etc.
Und das müssen sie auch weiterhin machen, auch wenn sie in einem solchen Bündnis sind. Sie müssten aber zu einem viel größeren Anteil für die gemeinsame Sache eintreten. Und es muss vielfältig sein. Es müsste eine wabernde Masse werden, aus der gar niemand so leicht greifbar ist, keiner weiß, wer da die Protagonisten sind, ein so hoher Takt, dass sie gar nicht mehr wissen, wo das grad schon wieder herkommt und wenn sie drauf reagieren wollen, gleich von der anderen Seite wieder eine um die Ohren. Und das Ganze muss auch noch im wirklichen Leben stattfinden und die Menschen direkt adressieren, ohne sie für den Zustand verantwortlich zu machen. Verantwortlich ist die Politik. Sie muss Politik machen und die Rahmenbedingungen schaffen, die unser Leben und unsere Zivilisation sichern. Diese Positionierung mit ganz konkreten Forderungen muss für alle sichtbar offen gelegt werden. Mit einem zentralen Instrument und einer zentralen Informationskampagne in die gesamte Bevölkerung.
Es muss DAS Ziel überhaupt sein, gewogene Regierungen zu erhalten, keine unter Korruptionsverdacht stehenden Politiker, die von ihren Parteien auch noch gedeckt werden. Gewogene Regierungen mit einem hohen Anteil intrinsisch motivierter Gemeinwohlpolitiker:innen handeln von sich aus. Wenn dann nicht die großen Hebel umgelegt werden, dann und nur dann macht der Druck Sinn. Dann trifft er auf fruchtbaren Boden. Um das zu erreichen, braucht es wirklich ein gewaltiges Gegengewicht gegen die verkrustete Klimaschmutzlobby-Politik, das wir nur alle gemeinsam in die Waagschale werfen können.
Die einzige Chance für uns alle, das Heilmittel lautet daher für mich: Kooperation. Jetzt!